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Dienstag, 21. April 2009

Heute bin ich...


200 Männer habe ich geküsst und kann mit ihnen immer noch nicht umgehen dachte sie sich, als der Zug kam. Unbeholfen- wie ein kleines Kind, was gerade seine ersten Schritte macht. Sie wird sie nie verstehen. Vom Leben gezeichnet und müde setzte sie sich vor einen Mann, der seinen Hut tief sein sein Gesicht gezogen hatte. Sie schaute aus dem Fenster. Der Zug fuhr vorbei an Feldern, Häusern, Strassen, Wäldern. Die Bilder verschwanden schnell, je schneller der Zug fuhr. Vieles in ihrem Leben lief wie ein Film vor ihrem Auge und verschwamm eben wie die Bilder. Sie erinnerte sich an soviel. Alles war immer soviel gewesen. Sie war zu viel. Nie war sie wie die anderen. Nie konnte sie normal sein. Nach jedem Leid wollte sie so sein, wie die anderen, aber es gelang ihr nie wirklich. Ich bin doch ich, tröstete sie sich dann und wickelte ihr Tuch enger um die Schultern. Wenigstens etwas, was ihr Halt gab. So stark, so viel- so viel Angst. Von Liebe finden- und sie verlieren.
Draussen war die Sonne so groß und nah, bald würde sie untergehen. Ein rötlicher Schimmer legte sich über die Wolken. Es war, als ob die Sonne immer näher kam, dann wieder ganz weit weg war. Ein Lichtspiel. Was er jetzt wohl macht, fragte sie sich. So viele Jahre sind seitdem vergangen. Stunden auf Tage, Tage auf Wochen, Monate auf Jahre, mal hatte es  die Zeit eilig, mal wollte sie nicht vergehen und weilte noch ein wenig bei ihr. In ihren Erinnerungen hatte es sich die Zeit besonders gemütlich eingerichtet. Alles hat seine Zeit. Alles wird Zeit, ist Zeit sagte es dann zu ihr, wenn sie traurig aus dem Fenster guckte. Weit weg. 
Wie geht es ihm wohl fragte sie sich. Es war, als ob sie ihn ganz nah bei sich spürte, aber das war nicht möglich. Er war schon lange fort, sehr weit weg. Bei den Gedanken an ihn, hätte sie fast ihre Haltestelle verpasst. Wischte sich die Tränen vom Gesicht und stieg aus. Blieb stehen, die Sonne strahlte direkt ihr Gesicht an. Ihr Atem wurde schneller, es überschlug sich. Ihr Herz raste. Der plötzliche Knoten im Hals schnürte sich enger. Langsam, ganz langsam dreht sie sich um und schaut dahin, wo sie eben noch im Zug saß. Er steht am Fenster, sein Hut in der Hand und schaut ihr direkt in die Augen. Für einen Moment atmet die Erde nicht. Als ob alles stehen geblieben ist. Schweigen. Stillstand. Stotternde Gedanken. Das, das kann nicht sein sagte sie noch und sah im blendenden Sonnenlicht nicht den Güterzug. Dann ... Stille.

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